Einladung zum Dialog: Johannes Beckmann ist seit August 2023 Künstlerischer Direktor am Pfalztheater. Sein neues Team war mit mir im September 2023 die Stadt erkunden. Ich selbst habe tolle Premieren und neue Formate am Pfalztheater erlebt. Nun haben wir zu unserem ersten großen Interview getroffen, über die Stadt, das Theater und die Menschen gesprochen, aber auch über eine auskömmliche Finanzierung.
Im Februar geht es bereits in die zweite Hälfte Ihrer ersten Spielzeit.
Wie gut sind Sie inzwischen in der Stadt und dem Theater angekommen?
Ich bin sehr herzlich in der Stadt aufgenommen worden. Die Menschen, die ich treffe, sind ausgesprochen freundlich und sehr sympathisch. Von der Stadt habe ich noch nicht so viel gesehen, weil ich viel im Theater bin. Aber nicht nur ich, sondern wir sind angekommen, denn es ist ja ein großes Team, das hier neu in der Stadt ist. Ich würde behaupten, dass die ersten Monate sehr erfolgreich waren, jedenfalls das Feedback auf unsere Produktionen war sehr positiv. Ich bin sehr zufrieden damit. Noch kenne ich nicht alle Akteurinnen und Akteure der Stadtgesellschaft, die ich kennen sollte, und mit denen ich in den Austausch kommen möchte.
Was mögen Sie an der Stadt?
Ich mag, dass alles fußläufig ist und die Umgebung. Ich bin schnell ohne Auto und zu Fuß in wunderbarer Natur und kann wandern.
Was mögen Sie am Theater?
Die Menschen! Jedes Theater hat eine eigene DNA. Das hängt nicht davon ab, wer da gerade auf der Bühne steht, wer da dirigiert oder gerade die Bühne aufgebaut hat. Das hat etwas mit Traditionen zu tun. Das zu erspüren, braucht seine Zeit. Die Tradition am Pfalztheater ist eine andere als an den Häusern, an denen ich bisher gearbeitet habe, aber das ist etwas Positives, das ich sehr neugierig zur Kenntnis nehme.
Sie haben sich zu Beginn Ihrer Tätigkeit für ein „sinnliches Theater“ ausgesprochen.
Was verstehen Sie darunter?
Das muss jeder sehr individuell beantworten. Was ich als sinnlich empfinde, kann jemand anders als spröde empfinden. Trotzdem gibt es eine Gemeinsamkeit: Sinnliches Theater soll verschiedene Sinne ansprechen. Theater soll nicht nur schön aussehen, schön klingen oder besonders aufwändig sein. Es soll ein Gesamtkunstwerk entstehen, so dass sich ein Theatererlebnis nicht nur auf den Text eines Schauspiels oder die Partitur einer Oper bezieht und sich nicht nur auf schöne Kostüme reduziert, sondern dass es als umfassendes Kunstwerk erlebt wird. Das bezieht sich nicht nur auf die intellektuelle Auseinandersetzung (da finde ich es übrigens immer schlecht, wenn Theater versucht, zu belehren, denn wir sind keine moralische Lehranstalt), sondern gleichzeitig auf eine Sinnlichkeit durch das Bühnenbild oder dadurch, dass in ein komplexes und durchaus ernsten Anliegens eines Autoren ein komisches Element reinkommt und man über Albernheiten lachen kann. Beim Musical kann man sich hinsetzen und sich über großartige Musik, schöne Kostüme und das Bühnenbild freuen, aber das allein wäre für mich jetzt noch nicht ein ausreichend schöner Theaterabend. Dazu muss kommen, dass das Stück nicht nur zu seiner Zeit, sondern auch für uns heute noch relevant ist. Dass ich also trotz leichter Muse ein Thema habe, das mich vielleicht auch nach dem Theaterabend weiter beschäftigt. Wenn das alles zusammenkommt, dann ist es für mich ein sinnlicher Abend.
Ihr Ziel ist es, ein spannendes künstlerisches Programm zu entwickeln, das die unterschiedlichen Bedürfnisse möglichst vieler Besucherinnen und Besuchern in Kaiserslautern und der Region befriedigt.
Darum bemühen wir uns. Das sieht man schon im Spielplan. Da stehen als Ankerpunkte sowohl das Musical und die „Zauberflöte“, mit denen wir auch ein Publikum erreichen wollen, das vielleicht gar nicht einmal ungemein theateraffin ist. Das belegt eine komplett ausverkaufte „Zauberflöte“, die wir deshalb in der nächsten Spielzeit wiederaufnehmen. Wir machen aber auch den Theaterkennern, die sich dann bewusst für die Tango-Operita oder die moderne Gegenwartsdramatik interessieren, ein Angebot. Einem Publikum, das sagt: „Die „Zauberflöte“ habe ich schon zehnmal gesehen, ich will was Neues sehen, muss man auch ein Angebot machen. Da gibt es die kleineren Formate für Menschen, die vielleicht nicht von sich aus auf die Idee kommen, in Oper oder Schauspiel zu gehen, die aber durchaus interessiert sind an anderen Themen. Da wird die „Spätschicht“ jeden Freitagabend für ein jüngeres Publikum bereits jetzt schon ganz gut angenommen. Es gibt vielfältige Angebote, für die man sich interessieren kann, ohne sich für Goethes „Faust“ zu interessieren, weil es da um ganz andere Themen geht, zum Beispiel wenn in der Reihe „science meets arts meets philosophy“ Neurobiologie auf Tanz trifft.
Sie haben eine vierte Sparte, das Junge Pfalztheater (JUP), gegründet und sind mit einer Kinderoper als Eröffnungsproduktion in die neue Spielzeit gestartet. Das war nicht unumstritten. War es im Rückblick gesehen die richtige Entscheidung?
Ja. Wenn man eine neue Sparte etablieren will, sollte man das aus voller Überzeugung und nicht als Feigenblatt für die Politik tun und am Ende doch nur Oper, Schauspiel und Tanz im Abendspielplan zeigen. Für den Start mit der Kinderoper habe ich gerade vom etablierten Publikum Kritik bekommen. Wir werden das im nächsten Jahr zwar nicht wiederholen, aber für die neue Spielzeit mit der neuen Sparte fand ich es wichtig, dass diese dann auch gebührend startet.
Was ist das Besondere am JUP?
Es gab ja schon vor dieser Spielzeit ein tolles Programm für Kinder und Jugendliche. Dies zu etablieren mit einer eigener Sparte und eigenem Namen, ist nochmal ein anderes Signal in die Stadtgesellschaft hinein. Wichtig ist, dass es ja nicht nur eine Kinder- und Jugendtheatersparte ist. Da liegt zwar ein Fokus, aber es gibt eben auch Angebote für ältere Menschen, partizipative Projekte, mit denen wir der Stadt zeigen können, dass sich das Theater gerade in dieser Sparte für Menschen öffnet, die im Moment nicht zu uns kommen. Ob es eine Produktion im Seniorenheim ist, eine Performance im Krankenhaus oder ein Workshop in der „Betzebud“ auf dem Betzenberg: wir nehmen vom etablierten Angebot dafür aber nichts weg, sondern machen Zusatzangebote und verzahnen die Sparten enger, um gegenseitige Inspiration zu ermöglichen.
Das Publikum hat Wünsche. Was wünschen Sie sich denn vom Publikum?
Neugierde und Offenheit, und auch die Lust, konstruktiv zu kritisieren. Ich mag keine durchsichtige Wand, und auf der einen Seite steht das Publikum, auf der anderen die hehre Kunst. Deswegen wehre ich mich auch gegen solche Begriffe wie „Musentempel“ für ein modernes Theater. Hier soll nichts und niemand angebetet werden. Wir wollen wirklich in den Diskurs und dieser kann auch Dissens bedeutet. Deshalb haben wir in dieser Spielzeit unter anderem eingeführt, dass nach jeder Vorstellung ein Mitglied des Leitungsteams noch vor Ort für das Publikum ansprechbar ist.
Wohin geht der Weg des Pfalztheaters?
Ich wünsche mir für die Zukunft einen Ort der Begegnung. Da ist der Weg das Ziel. Und auf diesem Weg kann in einer ersten Spielzeit noch nicht alles rund laufen, auch weil sich ja ein neues Team zusammenfinden muss. Ab der zweiten Spielzeit sollte sich eingespielt haben, was wichtig ist und ab der dritten wäre es schön, wenn der Erfolg sich verstetigt. Der Anfang ist gemacht, und natürlich erfinde ich das Rad auch nicht neu. Es gab hier zuvor schon tolles Theater, aber die Situation, in der wir uns heute befinden als Gesellschaft, ist eine so andere als noch 2018, geschweige denn 2005, dass das Theater darauf reagieren muss, und darum bemühen wir uns. Das erfordert sowohl innerhalb des Theaters eine Bereitschaft zur Weiterentwicklung als auch vom Publikum die Offenheit, Theater teilweise neu wahrzunehmen.
Wie zufrieden sind Sie bisher?
Künstlerisch bin ich sehr glücklich, die Qualität der engagierten Darstellerinnen und Darsteller ist enorm hoch! Mit der Pfalzphilharmonie haben wir ein Orchester, dessen Niveau deutlich über dem anderer Theaterorchester vergleichbarer Größe liegt und das regelmäßig Spitzenleistungen abliefert. Die Tanzkompanie erhält internationale Beachtung und reüssiert auch im Ausland, die Solistinnen und Solisten im Musiktheater zeigen schon in den ersten Produktionen, wie groß ihr Potential ist. Wir verfügen über einen extrem leistungsstarken Opernchor. Und last but not least ist es gelungen, innerhalb kurzer Zeit die am Pfalztheater bereits etablierten Künstlerinnen und Künstler des Schauspiels mit den neu hinzugekommenen zu einer ebenso homogenen wie heterogenen Einheit zu verbinden. Das ist Ensembletheater, wie ich es mir wünsche!
Aber ich will auch meine Sorge ausdrücken, was die langfristige Finanzierung des Hauses angeht. Die Finanzierung muss natürlich auskömmlich gestaltet sein, um dieses Niveau zu halten und noch zu steigern. Alle drei Zuwendungsgeber – der Bezirksverband Pfalz als Träger des Theaters, das Land Rheinland-Pfalz und die Stadt Kaiserslautern, haben sich deutlich und klar für das Theater in seiner jetzigen Struktur ausgesprochen. Das sollte zwar normal sein, muss aber erwähnt werden angesichts mancher Theater in Deutschland, die weniger Rückhalt bei ihren Geldgebern haben. Dennoch werden die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren nicht üppiger und die Diskussionen über Notwendigkeiten werden lauter geführt. Und vor diesem Hintergrund ist es unsere Aufgabe, unsere Unverzichtbarkeit zu vermitteln.
Da ist die Stadt Kaiserslautern ein wichtiger Partner. Menschen, die Kulturangebote wahrnehmen, bringen Geld in die Stadt, zum Beispiel durch Übernachtungen oder in der Gastronomie. Jeder Euro, den man in Kultur investiert, wird nach Studien mit bis zu 1,80 Euro zurückgeführt. Dennoch wird leider oft nur gesehen, dass Theater teuer ist. Da wäre es mir ein wichtiges Anliegen, dass der Stadtspitze und dem Stadtrat klar ist, dass das Pfalztheater nicht Luxus on Top ist, sondern dass dieses Theater hier auch ein großer sozialer Faktor in der Stadt ist. Theater ist nicht Sozialarbeit, aber Theater leistet auch(!) soziale Arbeit, die für die Gesellschaft notwendig ist! Die Angebote, die wir jetzt außerhalb des Theaters für die Menschen schaffen, sind alles Angebote, die auch Geld kosten, die aber nur möglich und dauerhaft leistbar sind, wenn wir hier mit unseren 340 Mitarbeitenden ein funktionierendes Theater haben.
Zur Person
Der 48-Jährige, in Mülheim an der Ruhr geboren, studierte Geige in Essen und Wien sowie Musikwissenschaft, Philosophie und Neuere Deutsche Literatur in Bochum, Bonn und Hamburg. Anschließend arbeitete er zunächst als Kulturjournalist, Lektor, Orchestermusiker, Konzertdramaturg und Autor. 2007 kam er an die Semperoper Dresden und war dort ab 2010 als künstlerischer Projektleiter und Stellvertreter des Operndirektors in künstlerischen Fragen tätig. 2013 wechselte er ans Theater der Landeshauptstadt Erfurt und war dort seit der Spielzeit 2014/15 als stellvertretender Generalintendant beschäftigt. Seit Beginn der Spielzeit 2023/2024 ist Johannes Beckmann nun Künstlerischer Direktor am Pfalztheater.
Interview: Januar 2024
Fotos Copyright Petra Rödler