Sie ist die letzte ihrer Art in Kaiserslautern, denn alle anderen Litfaßsäulen sind inzwischen abgebaut. Das Besondere am Pfaffplatz: Sie ist über die Jahrzehnte nie abgeschält worden, hält also jede Menge Zeitgeschichte in Plakaten fest. Jetzt gehört die Säule für ein Jahr dem mpk - gemietet von der Stadt und als Grundlage für ein einmaliges Kunstprojekt.
Bevor im September 2024 die von Museumsleiter Steffen Egle kuratierte Ausstellung zur Stadtidentität eröffnet wird, hat sich der „Gegenwartsarchäologe" Felix Sturm in einem wahren Kraftakt der Säule angenommen. „Das rund acht Zentimeter dicke Sediment enthält rund 30 Jahre Werbe- und Veranstaltungsgeschichte Kaiserslauterns. Ich schätze, dass hier im Laufe der Jahrzehnte bis zu 500 Plakate übereinander geklebt wurden.“, sagte der Künstler, der aus Stuttgart kommt, dort auch lebt und zurzeit mitten auf der Großbaustelle Stuttgart 21 sein Atelier hat.
Seit rund zehn Jahren interessiert er sich für die Geheimnisse von Litfaßsäulen, denn „man findet darin städtische Chroniken“, sagt er. Entdeckt hat er diese Leidenschaft als er einmal beobachtete, wie eine Werbefirma eine beklebte Säule abschälte. Danach hat er sich auf die Suche nach „vergessenen“ Säulen gemacht, die nicht regelmäßig gewartet und immer wieder überklebt worden sind. In Kaiserslautern ist nur noch diese eine Litfaßsäule übrig geblieben, die jetzt die künstlerische Aufmerksamkeit von Felix Sturm erobert hat.
Der Anschnitt mit der Kettensäge wurde von ihm zufallsmäßig herausgesucht und in einem 70 x 60 cm großen Block herausgeschnitten. Das war keine leichte Aufgabe, denn die Plakate wurden mit einem speziellen Kleber aufgebracht. Das Affichenpapier und der Kleister gehen eine ungemein starke Verbindung ein, erklärte er vor der Bohrung: „Wenn der Leim auf die Rückseite kommt, dehnt er das Papier ganz leicht aus. Wenn das Plakat aufgeklebt ist, zieht sich das Papier beim Trocknen wieder leicht zusammen. So entsteht eine ganz hohe Dichtigkeit. Für die Werbefirmen hatte es den Vorteil, dass man die Säulen nicht ständig von den Plakaten befreien musste, um neue aufzukleben. „Das ist wie Holz“, sagte der Künstler. „Und deshalb brauche ich jetzt auch die Kettensäge!"
Und dann ging es los, nicht so einfach wie gedacht. Nach über einer halben Stunde harter Arbeit sind runde acht Zentimeter freigesägt, aber so richtig loslassen will die Säule ihre gesammelten Plakate nicht. Hilfsschnitte und weitere Werkzeuge kommen zum Einsatz. Eine von Museumsleiter Steffen Egle schnell organisierte Brechstange bringt dann letztendlich einen neun Zentimeter dickern Block ans Licht.
Beim ersten „Durchblättern" ergibt einige Zigarettenwerbung, aber auch Musikgeschichte als ein Teil des Namens der Metal-Band „Slipknot" zu erkennen ist, die dieses Jahr wieder auf Tour ist und das 25. Jubiläum ihres Debütalbums feiert. Es bleibt spannend, wie viele Geschichten die Plakatausschnitte noch erzählen werden...
In einem nächsten Schritt wird Erik Sturm die einzelnen Plakate gemeinsam mit der Stadtbevölkerung ablösen und damit nicht zuletzt die ganz persönlichen Erinnerungen der Kaiserslauterer und Kaiserslauterinnen zu Tage fördern. Er hat dazu ein eigenes Verfahren entwickelt, das die Plakate vom ursprünglichen Kleber befreit und sie wie neu aussehen lässt. „Die abgelösten Plakate verdeutlichen die Ablagerungen von Zeit und Informationen im Wandel. Sie wirken wie eine Art Seismograph, der die Mythologien, Moden und Metamorphosen der jeweiligen Zeit speichert, soziokulturelle Wandlungsprozesse widerspiegelt und Stadtgeschichte sichtbar macht.“, so Erik Sturm.
Eine Auswahl der Plakate wird ab 14. September in der Ausstellung „Betze, K-Town, Pfaff“ zu sehen sein. In dieser Schau zeigt das mpk künstlerische Sichten auf den urbanen Raum der Stadt Kaiserslautern. Eingeladen wurden neben Erik Sturm die intermedial arbeitende Künstlerin Sophie Innmann, der Konzeptkünstler Nikolaus Koliusis und die Dokumentarfotografin Elisabeth Neudörfl.
17. Mai 2024
Fotos 1-4: Petra Rödler
Foto unten: MPK